Verdrängte Schwangerschaften sind weit häufiger als vermutet

Jedes Jahr erfahren in Deutschland etwa 1600 Frauen spät von ihrer Schwangerschaft, vermutlich 300 sogar erst kurz vor der Geburt. Diese Zahlen hat der Frauenarzt Jens Wessel für das ganze Land hochgerechnet, nachdem er in Berlin ein Jahr lang verdrängte Schwangerschaften in den Kliniken der Stadt zählte. „Die übliche Meinung, dass verdrängte Schwangerschaften exotisch und selten sind, stimmt nicht“, folgert Wessel im Apothekenmagazin „BABY und Familie“. Diese Frauen bemerken Zeichen für das Heranwachsen eines Kindes nicht oder interpretieren sie anders. Die ausbleibende Regel sei ja immer unregelmäßig gewesen, sagen sie sich.

Die Gewichtszunahme passt zu den ständigen Gewichtsschwankungen, Schmierblutungen werden als Periode angesehen und Übelkeit als Magen-Darm-Virus. Hintergrund sei oft, dass eine Schwangerschaft nicht ins aktuelle Lebenskonzept passe, erklärt Professorin Dr. Ulrike Ehlert von der Universität Zürich. Trotzdem sei ein „ungeahntes Kind nicht unbedingt ein ungewolltes“. Die Frauenärztin und Psychotherapeutin Professorin Dr. Mechthild Neises aus Hannover wünscht sich, dass Frauen, die ihre Schwangerschaft erst sehr spät wahrnehmen, auf die Möglichkeit einer Psychotherapie aufmerksam gemacht werden, denn „es ist auffällig, wenn eine Frau so eine gravierende Veränderung nicht bemerkt“. Ihre Erfahrung: Viele überraschte Mütter hätten nie gelernt, mit Konflikten umzugehen.
Quelle: Apothekenmagazin „BABY und Familie“ 5/2008