Legasthenie - medizinisch anerkannt, pädagogisch in Frage gestellt?

Weltweit sind circa 4 bis 5 Prozent der Menschen von einer Legasthenie (Lese-Rechtschreibstörung) betroffen. Das Störungsbild ist in der "Internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme" (ICD-10) dokumentiert. Zur Diagnostik hat die Deutsche Gesellschaft der Kinder- und Jugendpsychiater (DGKJP) Leitlinien verfasst.

Hannover, 29.04.2008
Trotz der medizinischen Anerkennung, wird die Existenz der Legasthenie von vielen Pädagogen immer noch in Frage gestellt. Insbesondere die Bildungspolitik diskutiert dieses Thema kontrovers. Doch wem nützt die Diskussion, wenn die betroffenen Kinder nicht die notwendige schulische Unterstützung erhalten. "Jedes Kind mit Problemen im Lesen und Rechtschreiben hat einen Anspruch auf individuelle Förderung, wie es in den Schulgesetzen festgeschrieben ist", fordert Christine Sczygiel, Vorsitzende des Bundesverbandes Legasthenie und Dyskalkulie (BVL). "Würde von Beginn an in den Schulen ein qualifizierter Erstunterricht stattfinden und allen auffälligen Kindern eine wirksame Förderung zuteil werden, könnte vielen Kindern großes Leid erspart bleiben. Leider sind die meisten Lehrkräfte bis heute nicht ausreichend weitergebildet, um den unterschiedlichen Formen und Ausprägungen von Lernstörungen gerecht zu werden", bedauert Christine Sczygiel.

Die Schulen stehen in der Verantwortung, den Kindern Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen. Die Herausforderungen an Grundschullehrer sind besonders hoch, denn ein Kind mit Migrationhintergrund hat einen anderen Unterstützungsbedarf als ein Kind mit einer Legasthenie. Die Legasthenie bedeutet für viele Kinder, dass sie trotz guter Förderung oftmals bis ins Erwachsenenalter Probleme mit der Lese- und Rechtschreibkompetenz haben. Legasthenie beruht auf einer neurobiologischen Störung und das Kind hat trotz guter Begabung und hohen Lernanstrengungen ein großes Handicap beim Lesen und Rechtschreiben. Kritiker stellen immer wieder die Frage, welchen Nutzen die Diagnostik der Legasthenie hat, denn die Förderansätze sind für alle Kinder mit Rechtschreibschwierigkeiten gleich. Richtig ist, dass alle Kinder eine qualifizierte Förderung, die nah am Schriftspracherwerb ansetzt, benötigen. Der Unterschied liegt in den zu erwartenden Lernfortschritten, die bei Legasthenikern deutlich langsamer erfolgen als bei Kindern, wo die Ursache in äußeren Umständen wie z.B. längerer Krankheit begründet ist.

"Aus unserer langjährigen Arbeit wissen wir, dass legasthene Kinder erleichtert sind, wenn der Kinder- und Jugendpsychiater die Diagnose "Legasthenie" stellt, denn viele zweifeln bereits an sich selbst, wenn sie nicht die gleichen Lernfortschritte machen wie ihre Mitschüler. Es macht uns daher sehr betroffen, dass man noch ein zusätzliches Problem schafft, indem man in Frage stellt, ob es eine Legasthenie gibt", kritisiert Christine Sczygiel. Der BVL fordert die Schulen auf, alle Kinder mit Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben individuell zu fördern. Wenn diese Fördermaßnahmen nicht ausreichende Erfolge zeigen, ist es dringend notwendig, die Ursache der Lernstörung abzuklären und in Absprache mit den Eltern außerschulische Fachkompetenz zur Diagnostik einzubinden, um den Kindern gezielt helfen zu können. Nur so kann abgesichert werden, dass die Kinder mit Lernstörungen einen begabungsgerechten Schulabschluss erreichen.

Weitere Informationen zum Thema und zum Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V.
sind im Internet abrufbar unter www.bvl-legasthenie.de